Was Filmmusik bewirken kann

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Auf der diesjährigen Sommerakademie des Forum Scientiarum habe ich Ausschnitte aus dem Kurzfilm NOWHERENOW vorgestellt, denen ich unterschiedliche Musik unterlegt habe, um zu zeigen, wie drastisch sich damit die Wahrnehmung des Geschehens auf der Leinwand beeinflussen läßt. Dieses Posting enthält einen Teil des Workshop-Materials.

Zunächst fünf verschiedene Soundtracks zu den ersten knapp anderthalb Minuten des Films.

Das erste Beispiel ist mit meinem Original-Soundtrack unterlegt, über den ich vor einiger Zeit bereits gepostet hatte:

Die Illustrationsmusik, die mit der Einblende kommt, soll den Journalisten in die Perspektive des Zuschauers trotz seines arroganten Auftretens und seiner Stumpfheit gegenüber der Erhabenheit des Meeres (erst pinkelt er, dann setzt er den Kopfhörer auf) als eine eher bemitleidenswerte Gestalt einführen. Die Musik auf seinem MP3-Player ist demgegenüber kein Kommentar, sondern die, welche die Figur im Film tatsächlich hört: zu kompliziert, kalt, angeberisch.

Um sich langsam an die Möglichkeiten heranzutasten, ist die zweite Unterlegung eine mit Kindermusik (die erste aus „Die kleine Hexe“, die zweite aus „Pinocchio“. Hier soll nicht mehr gezeigt werden, als daß wir durchaus geneigt sind, selbst einen solchen Kontrast zu schlucken.

Die Musik etabliert einen Kinderfilm, und wenn wir dort hineinzappen würden, käme es uns nicht verwunderlich vor, wenn in der nächsten Szene dann ein Mädchen im Pippi Langstrumpf-Outfit als Protagonistin auftauchte. Wir glauben der Musik, auch wenn das Bild damit eigentlich nicht zusammenpaßt.

Die nächste Unterlegung macht aus dem Film einen Krimi. Eine „Suspense“-Atmosphäre mit bedrohlich wabernden Flächen und einer Harmon Mute Posaune (aus Früchte des Nichts) fragt besorgt, was jetzt gleich wohl Schreckliches passiert, und aus dem Kopfhörer kommt eine “Schlachtfeld am Morgen danach”-Musik (aus Die Judith von Shimoda). Interessanterweise scheint die Kopfhörer-Musik nicht die zu sein, die der Protagonist tatsächlich hört, sondern eine, die aus der Perspektive des Zuschauers das Grauen der nahenden Tat kommentiert. Mich würde es nicht wundern, wenn der Mann, der nun kein Journalist, sondern eher ein Auftragskiller ist, nach dem “Excuse me!” seine Pistole mit Schalldämpfer hervorholte.

In die gleiche Richtung einen Schritt weiter geht die nächste Unterlegung. Statt eines Auftragskillers wäre es jetzt vielleicht ein Serienmörder:

Die sakrale Illustrationsmusik (aus Novemberszenen) paßt überhaupt nicht zur dezidiert unmeditativen Szene, so daß sie die Interpretation des sichtbaren Geschehens konterkariert. Die scheinbar distanzierte Arroganz wird dann am naheliegendsten als Wahnsinn uminterpretiert. Eine solche Kontrastierung ist seit Hitchcock ein gern genutzter Effekt. Die Kopfhörermusik höre ich hier wieder als seinen tatsächlichen MP3-Player: er putscht sich noch mal schön auf. Statt einer klinisch reinen Pistole mit Schalldämpfer wird der arme Professor hier eher mit einem emotionsgeladeneren Gegenstand gemeuchelt, vielleicht einer Drahtschlinge oder einem Beil.

Mein Lieblingsbeispiel ist das folgende (mit einem Welthit von Burt Bacharachs und einem Schnipsel von D’Angelo):

Die Illustrationsmusik ist klar nicht mehr “in der Szene”, sondern ein ausdrücklicher Kommentar. Der Journalist ist plötzlich ein sympathischer Filou, dem leider leider immer allerhand daneben geht, und auf seinem MP3-Spieler hat er eine Musik, die so cool ist, wie er gern wäre.

Zu einer “Action”-Szene im weiteren Verlauf des Filmes habe ich nun noch drei Unterlegungen anzubieten. Zunächst mit einer klassischen (Tschaikowski-Sinfonie) dramatischen Musik, die so ähnlich seit der Stummfilmzeit tausende Male zu handlungsbeschleunigten Szenen zu hören war:

Dadurch, daß die Szene in wichtigen Details die Action-Ernsthaftigkeit nicht hergibt (das Meer ist ruhig, der Professor geht gemessenen Schrittes, der Professor ist ein Kauz und nicht Bruce Willis etc. - anders aber die wackelige Handkamera und der 100% Action-kompatible Journalist), wirkt die Musik ironisch und gibt der Sequenz etwas von einem Monty Python-Film.

Umgekehrt kann man die Szene trotz der Handgreiflichkeit, der Handkamera und der Dramatik im Gesicht des Journalisten problemlos durch Musik zu einer Komödie machen, wie hier geschehen mit dem Schützenfest aus „Die kleine Hexe“:

Zum Abschluß die gleiche Sequenz noch einmal, unterlegt mit dem Jazzstandard “Unforgettable”, gesungen vom unvergeßlichen Nat “King” Cole:

Passend zur augenzwinkernden Raindrops Keep Falling on My Head-Fassung des Anfangs haben wir hier wieder den Unglücksraben. Für mich hat die Sequenz so etwas von einem Woody Allen-Film. Technisch gesehen hebt diese Musik anders als die beiden vorigen nicht einen der sichtbaren Aspekte der Szene hervor und verstärkt ihn bzw. bügelt den Rest weg, sondern nimmt eine dritte, eigene Perspektive ein.