Von hinten her gedacht - die erste Minute in NOWHERENOW

, Film


Der Film wurde ja letzte Woche bereits hochschulintern gezeigt… aber für die endgültige DVD- und Festivalbewerbungs-Fassung kommen Ende der nächsten Woche noch Bläser-Aufnahmen mit Philipp Haagen dazu. Dann lade ich mehr Musik und die Noten hoch! Jetzt aber erst einmal etwas Text und ein paar kurze Klangbeispiele zum Anfang des Films.

NOWHERENOW beginnt mit einer Einblende des Journalisten, der etwas verloren am Strand steht, sich erst mal erleichtert und dann den Professor sucht, den er interviewen will. Als er diesen nicht ausmachen kann und den Strand entlangstapft, setzt er sich den Kopfhörer seines MP3-Spielers auf und hört - ja, was hört er? Er hört harte, analytische, urbane, überambitionierte, schwierige Musik, die keinen Spaß macht, die er aber gut finden will. Also wie die Musik von Steve Coleman / M-Base ;-)

Es wäre eine verschenkte Möglichkeit, wenn die Mood-Musik zur ersten Einblende, die lautstärkemäßig unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle und somit unterbewußt den Journalisten als Loner einführt, und die laut eingespielte und damit klar bewußt wahrgenommene aggressive Musik, die er auf seinem MP3-Spieler hat, nichts miteinander zu tun hätten und einfach so nebeneinander gestellt würden. Könnten diese beiden Musiken nicht in Wirklichkeit ein und dieselbe Musik sein, die bloß einzeln gehört völlig unterschiedliche Wirkung haben?

So wie hier: Auf Michael Breckers Platte „Now You See It, Now You Don’t“ gibt es ein Stück mit Namen Escher, in dem es naheliegenderweise um Eschers Vexierbilder geht. Ein triolischer Swing-Teil (d. h. bei dem jede Viertel in eine Vierteltriole und eine Achteltriole unterteilt ist) wird mit einem binären Funk-Teil überlagert, dessen Viertel genau den Vierteltriolen des Swing entsprechen (der Swing ist somit um 33,33% langsamer als der Funk). Die beiden Grooves verschmelzen zu einem Song, und manchmal scheint der eine, und manchmal der andere Teil durch.

Die NOWHERENOW-Kopfhörermusik und die Anfangsstimmung können gleichzeitig laufen und verschmelzen dabei in der Wahrnehmung zu einem einheitlichen Stück, sind aber einzeln gehört vollkommen verschieden - wenngleich sie, anders als bei Brecker, dasselbe Metrum haben. Ein Escher-Effekt wird stattdessen dadurch erzielt, daß die Baßtöne der Kopfhörermusik die Harmonien der Journalisten-Atmosphäre umdeuten. Zunächst die Mood-Musik:

Entfernte und stark gefilterte Solo-Celli spielen eine Melodie und eine Gegenstimme, die in ihrer verschroben-unsentimentalen Melancholie von Wayne Shorters Sopransaxophonspiel inspiriert sind. Ganz anders die Wichtigtuer-Musik, die der Journalist sich antut:

Um die beiden Musiken als nicht-zufällig zusammengehörig zu präsentieren, wird nicht mit dem Aufsetzen des Kopfhörers einfach die Kopfhörermusik laut gedreht, sondern das Aufsetzen des Kopfhörers findet genau auf die Zählzeit 1 des ersten Taktes in der Form statt, und der anschließende Schnitt passiert auf die Totale genau auf der 1 des neunten Taktes. Durch die Filmschnitte ist die Dauer der acht Takte vorgegeben, und so ergibt sich im 7/8-Takt, in dem die ganze Musik steht, ein Tempo von exakt 111,7 BPM.

So klingen die beiden Musiken zusammen (man hört mit den Ohren des Journalisten, d.h. die Kopfhörermusik ist bei abgesetztem Kopfhörer leise präsent und bei aufgesetztem Kopfhörer so dominant, daß Umgebungsgeräusche komplett maskiert sind):

Und hier zum Spaß noch die Kopfhörermusik mit einem ursprünglich von mir geplanten Synth-Solo, das dann für die Bedürfnisse des Films aber doch zu frickelig und vor allem zu launig ist, mit dazu passend der Gitarre ohne Verzerrung und in lang bis zum Absetzen des Kopfhörers:

(Schlagzeug: Christian Jung. Alle übrigen Instrumente sind von mir gespielt bzw. programmiert)

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