Die vorgestrige Derniere und anschließende Trauer­feier hat, wom­it zu rech­nen war, gemis­chte Gefüh­le hin­ter­lassen. Die Pege­lauss­chläge waren allerd­ings etwas heftiger als erwartet.

Herzlichkeit

Der Dernieren-typ­is­che Verbindlichkeits-Tur­bo war aktiv: die let­zte Vorstel­lung ein­er Insze­nierung ist manch­mal zugle­ich das let­zte mal im ganzen Leben, daß man sich begeg­net. Dies ist allen Beteiligten bewußt, weil jed­er The­ater­men­sch schon x mal erlebt hat, daß auch zwei inten­sive Proben­monate und dutzende von Vorstel­lun­gen mit tiefen Ein­blick­en in seel­is­che Zustände und Charak­tereigen­schaften der “Kol­le­gen” (so heißt man in ein­er Mis­chung aus Beam­ten­deutsch und Gew­erkschaft­skumpanei) nicht sehr oft zu Beziehun­gen führen, die das Ende ein­er Pro­duk­tion über­leben. Neben einem in der Arbeit gemein­sam ver­fol­gten Ziel reichen fre­undlich­er Smalltalk, in falsch­er Kom­plizen­haftigkeit aus­ge­tauschte Abfäl­ligkeit­en, von psy­chis­ch­er und physis­ch­er Erschöp­fung befeuerte nächtliche Züge durch die Gemeinde nach viel zu lan­gen Proben und geteiltes Lam­p­en­fieber nicht als Nährbo­den ein­er per­sön­lichen Bindung. Auch das zarte Pflänzchen begin­nen­der Fre­und­schaft vertrock­net leicht, wenn es keinen gemein­samen Kon­text mehr gibt. Die dro­hende Endgültigkeit des Abschied war durch den Tod Fritz Schedi­wys deut­lich­er spür­bar als zuvor von mir so erlebt, obwohl die pos­i­tiv­en zwis­chen­men­schlichen Vibra­tio­nen nur in ver­gle­ich­sweise weni­gen Fällen lauter wur­den.

Scheinheiligkeit

Die unver­mei­dlichen erregten Debat­ten auf der Wieder­auf­nah­meprobe (selb­stre­dend in den Gespräch­san­teilen streng nach hier­ar­chis­chem Pro­porz (vgl. hier, bes. viertlet­zter Absatz), wie der Ersatz des Ver­stor­be­nen möglichst pietätvoll und zugle­ich seinem schaus­pielerischen Rang sowie seinem Wesen entsprechend zu insze­nieren sei, waren auf ungute Weise von der Zielset­zung durch­drun­gen, daß, gle­ich wie die Begrün­dung let­z­tendlich im Einzel­nen aussieht, man in jedem Fall spie­len muß, und zwar möglichst nah an der Pre­mieren­fas­sung. The show must go on.

Grausamkeit und nackte Angst

Auf der, wie ich fand, im Grunde recht gelun­genen Trauer­feier kamen Wegge­fährten zu Wort, etwa der jet­zige Burgth­e­ater-Inten­dant Matthias Hart­mann und Har­ald Schmidt (per Videobotschaft), mit dem er in Stuttgart zusam­men auf der Bühne ges­tanden hat­te. Es wur­den auch zahlre­iche Fil­mauss­chnitte und Proben­videos des grandiosen Schaus­piel­ers gezeigt.

Eins davon ein Video mit Proben- und Hin­ter­büh­nen­mitschnit­ten, Regiear­beit mit jun­gen Schaus­piel­ern. Die Grausamkeit, mit der die Regie (ich sage nicht, wer) dort die Darsteller ange­ht, hat mir schi­er den Atem ver­schla­gen. Die zuck­enden Gesichter, die flack­ern­den Augen mit Bren­nweite unendlich, die aufs Äußer­ste anges­pan­nte Kör­per­hal­tung — Men­schen in Panik, von Ohn­macht und nack­ter Angst gelähmt. Men­schen, denen nicht bloß respek­t­los begeg­net, nein, denen ihre Würde genom­men wird. Das sind Abhängige, wenn nicht gar Schutzbe­foh­lene in dem Alter, und da ste­ht der Regis­seur, Autorität qua Amt, Rep­u­ta­tion und Leben­salter, der sich anmaßt, sich einen her­auszupick­en und ihm im Bewußt­sein dieses immensen hier­ar­chis­chen Gefälles ins Gesicht zu brüllen, wie schlecht er ihn find­et, und das nicht kurz aus einem Impuls her­aus, son­dern mit umfan­gre­ichen Auss­chmück­un­gen und Vari­a­to­nen und unter Auskos­tung sein­er Macht, diese Proze­dur so lange auszudehnen, wie es ihm beliebt. Der Sozialpsy­chologe Philipp Zim­bar­do nen­nt das “kreativ böse”.

Die Struktur

Um Zim­bar­dos Lin­ie weit­er zu fol­gen: es soll nicht darum gehen, die Grausamkeit eines Regis­seurs anzuprangern. Das ist ja kein Einzelfall, im Gegen­teil, an großen Häusern ist exzes­sive Mach­tausübung und die entsprechende Unter­w­er­fung nach mein­er Erfahrung eher die Regel als die Aus­nahme (wenn auch meist mit sub­til­eren Meth­o­d­en, ohne daß diese deshalb weniger effek­tiv wären). Stattdessen zweifele ich ein Sys­tem an, eine Struk­tur, die solche Meth­o­d­en nicht nur nicht ächtet, son­dern her­vorzubrin­gen scheint und die Kol­lat­er­alschä­den herun­ter­spielt oder gar für notwendig erk­lärt und hero­isiert wie bei den Marines. Vor mein­er Anreise nach Düs­sel­dorf war ich in Tübin­gen auf ein­er wis­senschaftlichen Kon­ferenz, und der Kon­trast in den Insti­tu­tio­nen des Umgangs miteinan­der kön­nte nicht größer sein. Auch dort geht es um Exzel­lenz, Höch­stleis­tung, Inno­va­tion, auch dort begeg­nen Welt­stars Stu­den­ten, gibt es Abhängigkeit­en, Eit­elkeit­en, fak­tis­ches Macht­ge­fälle. Zwis­chen den Kul­turen liegt ein halbes Jahrhun­dert. Das zu disku­tieren und die weit größere Effek­tiv­ität der flachen Hier­ar­chie zu bele­gen, wäre wieder ein eigen­er Blog-Beitrag.

Daß aus­gerech­net das The­ater, das doch so gern mit seinen Insze­nierun­gen den Fin­ger in die Wunde legt bei Macht­mißbrauch und anderen Schweinereien in Poli­tik, Wirtschaft, Mil­itär und Fam­i­lie, im Kern seines Pro­duk­tion­sprozess­es selb­st ganz vorne mit dabei ist in dieser Diszi­plin… Selb­stver­ständlich gibt es Macht­mißbrauch in Poli­tik, Wirtschaft, Mil­itär und Fam­i­lie, aber so ein krass­er Fall würde in anderen Branchen vor dem Arbeits­gericht oder in der Presse enden — beziehungsweise heute nicht mehr so passieren, auch wenn die meis­ten The­ater­men­schen da ein anderes Bild von der Welt außer­halb ihres Tem­pels haben.

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