Am 20.2. war am Schaus­piel Stuttgart die Pre­miere von Ein Volks­feind, davor hat­te ich den Sound­track zu NOWHERENOW gemacht, und als näch­stes kommt wieder eine Film­musik. Das nehme ich zum Anlaß, mir Gedanken darüber zu machen, woher die in der Arbeit und im Ergeb­nis so deut­lichen Unter­schiede zwis­chen Film- und über Laut­sprech­er einge­spiel­ter Büh­nen­musik rühren.

Damit meine ich nicht die rezep­tion­shis­torisch bed­ingten Unter­schiede — ein epochemachen­der Film bzw. eine epochemachende Film­musik bee­in­flußt das Kino mehr als das The­ater und umgekehrt -, und auch nicht die durch Bud­gets, Ver­bre­itungs­grad, Zielpub­likum und die organ­isatorische Ver­faßtheit von Staats- oder Off-The­ater ver­sus Film­pro­duk­tions­fir­men. Es gibt, so meine ich, Unter­schiede, die aus grundle­gen­den Eige­narten des The­ater- und Film­schaf­fens unmit­tel­bar fol­gen. (Dieser Text ist, wie viele in diesem Blog, bewußt kon­tro­vers gefaßt: ich freue mich über jeden Hin­weis (Kom­men­tar-Funk­tion) auf Filme oder Insze­nierun­gen, die meine Aus­führun­gen wider­legen!)

Zwei Aspek­te scheinen mir beson­ders rel­e­vant. Das ist zum einen die Laut­stärkean­pas­sung zwis­chen (nach­syn­chro­nisiertem) Dia­log, O‑Ton und Film­musik und zum anderen die spez­i­fis­chen Ein­satzmöglichkeit­en der Kam­era, also Einstellungsgrößen/optischer Zoom, Pespek­tive, Kam­er­afahrt, Schnitt. Bei­des ist auf der Bühne nur in eingeschränk­tem Umfang möglich. Zwar gibt es auch im The­ater Laut­sprech­er, Mikro­fone, ein Mis­ch­pult, zwar kann auch im The­ater Büh­nen­bild (und Licht, was ich hier weglasse, da es dem Filmemach­er auch zur Ver­fü­gung ste­ht) und Insze­nierung aller­hand ein­drucksvolle visuelle Effek­te erzie­len. Jedoch stößt man im The­ater in bei­den Bere­ichen auf “harte” Gren­zen.

Zunächst zur Laut­stärkean­pas­sung. Beim Abmis­chen des Film-Tons kann das Flüstern eines Schaus­piel­ers dur­chaus über ein wüten­des 120 Mann-Orch­ester gelegt wer­den, eine gehauchte Rohrflöte kann trotz tosenden Orkans oder gebrüll­ten Dialogs zur Wirkung gebracht wer­den. Dabei ist nicht nur der Pegel ein Para­me­ter, son­dern auch eine sub­tile Kom­bi­na­tion von Panora­maregelung und Hall­raum, durch die ein Schallsig­nal präzise räum­lich platziert wer­den kann. Ein Dol­by-Sur­round-Film in einem THX-zer­ti­fizierten Kino ist klan­glich viel trans­par­enter, als es eine The­ater­bühne mit je nach Büh­nen­bild vari­ieren­den Schall­re­flek­toren und mit sich bewe­gen­den Schaus­piel­ern, über deren Mikro­fone, wenn sie denn welche tra­gen, nicht nur ihre Stimme, son­dern auch alle Umge­bungs­geräusche aufgenom­men wer­den, je sein kann.

Die Ver­wen­dung von Stützmikro­fo­nen im The­ater, ob am Schaus­piel­er oder im Raum, ist grund­sät­zlich nicht unprob­lema­tisch, da eine Anhebung der Sprach­laut­stärke sehr schnell vom Zuschauer als solche wahrgenom­men wird. Ein­er­seits spürt er, daß der Schaus­piel­er diese Laut­stärke nicht selb­st pro­duziert (was in einem ordentlich gemis­cht­en Film nicht vorkommt), und ander­er­seits reg­istri­ert er die auf der Bühne nie ganz ver­mei­d­bare Klangfär­bun­gen, Wind- und Ploppgeräusche, Ampli­tu­den­schwankun­gen, Trittschall, Kamm­fil­ter­ef­fek­te, Hall etc. Sobald die Mikro­fon­ab­nahme bemerkt wird, wirkt sie min­destens unnatür­lich. Oft wirft sie gar die Frage nach ein­er szenis­chen Begrün­dung auf — weshalb dann manch­mal die Flucht nach vorn ange­treten wird und der Schaus­piel­er ein sicht­bares Hand­mikro­fon trägt.

Das Unter­legen von unver­stärk­ter Sprache mit Musik auf der Bühne ist erst recht ein schwieriges Unter­fan­gen. Wird die Musik so leise gespielt, daß die Sprachver­ständlichkeit darunter nicht lei­det, bleibt sie häu­fig unter­halb eines Pegels, bei dem sie ihre Wirkung ent­fal­ten kann. Musik braucht eine Min­i­mal­laut­stärke, damit die bedeu­tungstra­gen­den Ele­mente (Melodie, Har­monie, Rhyth­mus, Klang­farbe etc.) über­haupt ankom­men. Eine zu leise gespielte Musik wirkt wie ein Störg­eräusch, wie eine unspez­i­fis­che Irri­ta­tion. Gegenüber ein­er mit funk­tionaler Laut­stärke einge­spielte Musik kann zwar ein laut deklamieren­der Schaus­piel­er beste­hen, aber seine dynamis­chen Möglichkeit­en sind stark eingeschränkt. Nor­male Gespräch­slaut­stärke geht unter. Auch im Film gängige Faus­tregeln für Musik unter Sprache wie z.B. die Beschränkung auf langsame und gle­ich­mäßige Bewe­gun­gen und das Freilassen der für die Sprachver­ständlichkeit wichti­gen Fre­quenzbere­iche stoßen auf der Bühne schnell an ihre Gren­zen. Man hat also in der Prax­is die Wahl zwis­chen Musik unter mikro­foniert­er Sprache mit allen oft uner­wün­scht­en Kon­se­quen­zen in der Wirkung, zu leis­er und damit wirkungslos­er oder sog­ar stören­der Musik, oder gar kein­er Musik. Im Resul­tat ist dies ein großes Hand­i­cap im Kampf um “Sende­platz”.

Ein zweites Hand­i­cap beim Erobern von Raum für Musik ergibt sich aus der Fix­ierung des The­ater­pub­likums an einem Ort. Während dort die Zuschauer im Regelfall auf ein­er fes­ten Bestuh­lung Platz nehmen, ste­hen dem Auge im Film eine Vielzahl von Möglichkeit­en offen. Dadurch erweit­ern sich auch die erzäh­lerischen Möglichkeit­en enorm. Die Kam­era fol­gt ein­er Fig­ur auf ihrem Weg, sie zeigt in ein­er Point-of-view-Ein­stel­lung, wohin eine Fig­ur blickt, sie zoomt sich allmäh­lich an etwas her­an, sie schwenkt langsam durch eine Land­schaft, ein Zim­mer — all dies schafft Momente, manch­mal sehr lange Momente, in denen Musik, die sich nicht unter­halb der Sprache ein­find­en muß, zum Bild unge­hemmt ihre Wirkung ent­fal­ten kann. Eben­so hil­ft der Film­schnitt, aus­führliche Pas­sagen mit wenig oder fast ohne Dia­log herzustellen, indem er es erle­ichtert, eine Hand­lung zu erzählen, ohne daß jemand etwas sagen muß. Klas­sis­ches Beispiel: eine Ver­fol­gungs­jagd. Eine aus­führliche Action-Szene auf der Bühne span­nend zu gestal­ten, ist ungle­ich schwieriger — so schwierig eben wie eine Action-Szene, die per­ma­nent in der Totale bleibt und keinen einzi­gen Schnitt hat. So etwas hat man im Kino noch nicht gese­hen (oder doch? Man­i­fest? Kom­men­tar-For­mu­lar siehe unten!).

Per­spek­tiv­en für die Bühne zu find­en, die der Musik Raum geben, ist offen­bar schwierig. Leicht wirken Musiken, zu denen nicht gesprochen wird, retardierend. Es geht nicht weit­er mit der Hand­lung. Das müßte natür­lich nicht sein; im Bal­lett geht es schließlich auch weit­er mit der Hand­lung, obwohl gar nicht gesprochen wird. Hier ist vielle­icht doch kein har­ter, son­dern ein weich­er Fak­tor am Werk, näm­lich die The­ater­tra­di­tion, der gemäß ein Dra­ma zunächst ein­mal ein Text ist. Und wenn nicht Text, dann Bild. Im Vorder­grund ste­ht die Arbeit mit den Schaus­piel­ern, die in einem stim­mi­gen Bild, stim­mig kostümiert, als Fig­uren stim­mig agieren sollen.

Die Bühne hat mit Bezug auf den Musikein­satz aber nicht nur Defizite gegenüber dem Film. Durch die Beschränkung auf einen Raum bzw. endlich viele Räume, die für den Zuschauer klar ersichtlich “gemacht” sind, durch die physis­che Präsenz von Schaus­piel­ern, die für den Zuschauer klar­er ersichtlich “spie­len”, ist ihm der fik­tionale Charak­ter dessen, was da abläuft, bewußter. Dieses Bewußt­sein kann man nutzen, und das The­ater hat es darin zur Meis­ter­schaft gebracht. Nie­mand wun­dert sich darüber, wenn mit­ten auf der Bühne ein Musik­er, der nie in den Hand­lungsver­lauf ein­greift, auf einem Gitar­ren­ver­stärk­er oder an einem prä­pari­erten Flügel sitzt und hin und wieder auf­spielt. Im Film ist die Rezep­tion­shal­tung eher, schlicht weil er es kann, die des Ein­tauchens in eine Welt, was die Frage nach der Rolle ein­er Fig­ur nahe­liegen­der macht und so die Behaup­tung (wichtiges The­ater­wort!) eines Musik­ers mit­ten im Geschehen schwieriger.

Allerd­ings gibt es hun­derte von Fil­men, die es gle­ich­wohl ver­mö­gen, Behaup­tun­gen abseits des real­is­tis­chen Hand­lungsver­laufs überzeu­gend vorzubrin­gen — die unter­schiedliche Rezep­tion­shal­tung gegenüber Film und Bühne ist eben keine harte Gren­ze, auf die die The­ater­musik im Ver­gle­ich zur Film­musik immer wieder stieße. Diese beste­hen stattdessen, so habe ich ver­sucht zu argu­men­tieren, zum einen in den größeren Schwierigkeit­en bei der Ton­mis­chung im The­ater, die den Ein­satz von Musik unter Sprache erschw­eren, und zum anderen fehlt der Musik auf der Bühne Raum, den durch die Kam­era ermöglichte wort­lose Erzählfor­men im Film müh­e­los schaf­fen.

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