Buchrezension: Edgar Istel - The Art Of Writing Opera Librettos: Practical Suggestions (1922)

, Theorie


Nicht, daß ich wochenlang recherchiert hätte, aber es gibt bis heute (seit 1922) kein weiteres Buch zu genau diesem Thema - Libretti von Opern. Und auch antiquarisch gibt es nicht das deutsche Original, aus dem dieser Dr. Thomas Baker das Werk übersetzt hat. Seltsam. Ohne Amazon & Co. das Geschäft verderben zu wollen, findet sich der Volltext online und kostenlos hier.

In einem Wort: das Buch ist sehr, sehr gut. 1922 war in Deutschland die Welt der Intellektuellen und Künstler sowas von in Ordnung, so ist es seither nie wieder geworden. Istels Buch durchweht dementsprechend ein heute in deutschen Publikationen zu solchen Themen kaum mehr anzutreffender Geist von Brillianz, Präzision, Selbstbewußtsein - der Mann spielt in einer Liga, die heute woanders stattfindet, und auch in anderen Genres. Istel fühlt sich (zu Recht) als Mitglied eines Netzwerks von Komponisten und anderen Geistesarbeitern, die weltweit sagen, wo es langgeht, mindestens in der klassischen Musik. Gluck, Mozart, Wagner, das alles ist noch fast Gegenwart, und Istel und seine Freunde und Kollegen kennen die Probleme, Opern dieser Gewichtsklasse zu schreiben, aus erster Hand.

Das äußert sich zum Beispiel darin, daß Istel sich zu keinem Zeitpunkt scheut zu sagen, was seiner Auffassung nach funktioniert, und was nicht. Keine Spur von einem verzagten oder relativistisch-postmodernen „es geht so, oder auch so, und letzen Endes muß jeder seinen eigenen Weg finden“. Dabei selbstredend nicht schulmeisterlich, also immer in dem Bewußtsein, daß es eben doch auch ganz anders gehen könnte. Da stört auch nicht die manchmal leicht verschwurbelte Lobhudelei für die großen Meister.

Ich nenne nur mal ein Beispiel dafür, wie klipp und klar er sagt, wie es geht: Mehr als vier oder maximal fünf Hauptrollen kann der Zuhörer nicht verkraften, und die Nebenrollen dürfen nicht psychologisch komplex sein. Nebenrollen sind Typen, die immer gleich agieren, nie überraschend, und keine Entwicklungen durchmachen. Punkt. Oder ein Beispiel für eine Regel, wie man dramatisch nicht funktionierende Libretti vermeidet: Die Handlung muß auch ohne Textverständnis rein über das Visuelle nachvollziehbar sein. Also nicht nur mit den Ohren, sondern immer auch mit den Augen schreiben. Das ist hilfreich.