Dies werde ich am 30. Mai als Impul­srefer­at zur Diskus­sion von Jer­rold Levin­sons Auf­satz “Jazz Vocal Inter­pre­ta­tion: A Philo­soph­i­cal Analy­sis” erzählen (in eng­lish). Das Refer­at ist Bestandteil des Work­shops zu Ästhetik und Ethik in der Musik am Philosophis­chen Sem­i­nar der Uni Tübin­gen, wo Levin­son (ein­er der weltweit führen­den Philosophen der Ästhetik; er unter­richtet an der Uni­ver­si­ty of Mary­land) mit Tübinger Wis­senschaftlern und Stu­den­ten drei Tage lang disku­tiert. Man kann den Text auch ohne Ken­nt­nis von Levin­sons Paper ver­ste­hen. Da dieser nicht veröf­fentlicht ist, stelle ich ihn nicht hier online. Eine Mail an mail(at)fritzfeger.de genügt aber, und ich schicke das Paper gern zu!
Ein­leitung
Um die Diskus­sion zu befeuern, werde ich zwei Punk­te gegen Levin­son machen, davon ein­er eher klein und etwas tech­nisch, der andere hinge­gen ent­ge­gen seinen grundle­gen­den Ansatz, sich philosophisch der vokalen Inter­pre­ta­tion von Jaz­z­s­tan­dards zu näh­ern. Ich werde seine Auf­fas­sung kri­tisieren, daß die Para­me­ter oder Dimen­sio­nen, mit denen eine Song­in­ter­pre­ta­tion zu analysieren ist, darin beste­hen, was die Inter­pre­ta­tion zum einen über den Song und zum anderen über die Per­sön­lichkeit oder genauer die “per­for­mance per­sona” des Inter­pre­ten sagt, d.h. über die implizite fik­tionale Fig­ur, die den Song erzählt. Stattdessen werde ich einen anderen Aspekt in den Vorder­grund rück­en: Musik, und damit auch Song­in­ter­pre­ta­tio­nen, han­deln von der Welt.
Was ist das Orig­i­nal eines Jaz­z­s­tan­dards?
In Levin­sons Paper geht es um die Frage, wie die gesan­gliche Inter­pre­ta­tions eines Jaz­z­s­tan­dards in ästhetis­chen Begrif­f­en anzuge­hen sei. Um die Para­me­ter bzw. Dimen­sio­nen der Lied­in­ter­pre­ta­tion zu klären, unter­schei­det er die Inter­pre­ta­tion von der, wie er es nen­nt, “Orig­i­nalkom­po­si­tion” oder “dem Song, wie er geschrieben ist oder nor­maler­weise gespielt wird”. Ein­mal abge­se­hen von den Son­der­fällen ein­er Hom­mage oder Par­o­die, bei denen (meis­tens) eine andere Inter­pre­ta­tion als Ref­erenz dient, “addiert, sub­trahiert, verän­dert” der Sänger das Orig­i­nal, indem er eine Inter­pre­ta­tion schafft.
Wie nahe­liegend die Idee ein­er Orig­i­nal­fas­sung des Songs auch erscheint, es ist nicht ohne Weit­eres möglich zu sagen, was genau die Orig­i­nal­fas­sung eines Songs ist. Man denke etwa an die soge­nan­nte His­torische Auf­führung­sprax­is in der Klas­sis­chen Musik, bei der es nicht nur darum geht, alte Weisen der Inter­pre­ta­tion wiederzuent­deck­en, um damit die Musik schlicht bess­er klin­gen zu lassen. Im englis­chen Sprachraum heißt die Bewe­gung auch “Authen­tic Per­for­mance”, was offen­bart, daß dort zugle­ich ein Dis­put aus­ge­focht­en wird darüber, welche Inter­pre­ta­tion dem Orig­i­nal am näch­sten kommt.
Ich würde aber gern noch einen Schritt weit­er gehen: die Sub­stanz oder Essenz eines Songs, das heißt seine Melodie und seine Akko­rd­folge, um es ein­fach zu hal­ten, ist keine Orig­i­nal­fas­sung. Nicht ein­mal der Kom­pon­ist selb­st hat das Priv­i­leg, die Orig­i­nal­fas­sung zu definieren: wenn er seine musikalis­chen Gedanken in Klang set­zt, wenn er seine eigene Kom­po­si­tion spielt bzw. singt, pro­duziert er eine Inter­pre­ta­tion. Wenn ich gefragt werde, ob ich “My One and Only Love” kenne, ist es ohne Bedeu­tung, ob ich die Hart­man/­Coltrane-Ver­sion im Sinn habe oder Doris Day oder Sina­tra oder Nan­cy Wil­son oder Sting oder Rick­ie Lee Jones oder die nicht existierende “Orig­i­nal­fas­sung des Kom­pon­is­ten/­Tex­ter-Teams, oder ob ich lediglich das Chart im Real Book kenne. Wenn ich die ersten zwei Tak­te zu pfeifen in der Lage bin, wie nach­läs­sig auch immer, dann ist klar, ob ich den Song kenne oder nicht. Der Song, dies trifft zumin­d­est für Jaz­z­s­tan­dards zu, beste­ht aus Melodie und Akko­r­den ohne Tempo‑, Transpositions‑, Klang‑, Phrasierungs‑, Artiku­la­tions- oder son­sti­gen Mit­teln der Inter­pre­ta­tion.
Was fol­gt daraus? Zunächst bloß eine leichte Anpas­sung des begrif­flichen Rah­mens. Statt ein­er Orig­i­nal­fas­sung gibt es vielle­icht eine kanon­is­che Inter­pre­ta­tion, die zugle­ich die zuerst pub­lizierte sein mag und durch den Autor autorisiert; aber dies muß nicht so sein. Die meis­ten Jazzmusik­er und ‑hör­er ken­nen nicht die “orig­i­nale” Broad­way-Musi­cal-Ver­sion der Jaz­z­s­tan­dards — und meist ver­passen sie nicht viel.
In den meis­ten Fällen sind die kanon­is­chen Inter­pre­ta­tio­nen, die die Ref­erenz für neue Inter­pre­ta­tio­nen bilden, eine hand­voll Auf­nah­men von Jaz­zgrößen aus den Dreißiger bis Fün­fziger Jahren. Es ist jedoch möglich und sog­ar abso­lut gängig, daß jemand eine bemerkenswerte Inter­pre­ta­tion eines Jaz­z­s­tan­dards singt, ohne je eine andere Ver­sion des Songs gehört zu haben, und zwar auf der Grund­lage des Real Book-Charts, oder nach­dem ein Band­mit­glied die Melodie vorge­summt hat und den Text auf einen Zettel geschrieben.
Diese Änderung des begrif­flichen Rah­mens im Detail ste­ht aber auch im Zusam­men­hang mit dem anderen, sub­stantielleren Punkt, den ich machen werde, näm­lich daß die Inter­pre­ta­tion eines Jaz­z­s­tan­dards wed­er vom Song han­delt noch von der Per­sön­lichkeit des Sängers. Diese Aspek­te sind bloß abgeleit­et davon, daß eine musikalis­che Inter­pre­ta­tion im Wesentlichen von der Welt han­delt.
Die Inter­pre­ta­tion han­delt nicht vom Song, son­dern von der Welt
Die Frage, die Levin­son am inter­es­san­testen find­et, ist diese: “Wie kann man unter­schei­den, was eine Sän­gerin (oder ein Sänger) bei der Inter­pre­ta­tion eines bes­timmten Songs über den Song ver­mit­telt, und was sie über sich selb­st ver­mit­telt?” (S. 9). Ich bin geneigt zu ent­geg­nen, daß der Ken­ner, der Samm­ler, der Musik­wis­senschaftler und der eifrige Musik­er daran inter­essiert sein kön­nten, was mit ein­er Inter­pre­ta­tion über den Song ver­mit­telt wird, und daß der Fre­un­deskreis und die Fam­i­lien­ange­höri­gen der Sän­gerin, ihr Fan­club und vielle­icht Fre­unde des Pro­mi-Kults oder Leser von Biogra­phien “inter­es­san­ter” Per­sön­lichkeit­en neugierig sein kön­nten, etwas über die Sän­gerin zu erfahren. Aber der Hör­er, der zu kein­er der genan­nten Inter­es­sen­grup­pen gehört, wird all dies wohl lang­weilig find­en. Er würde wahrschein­lich lieber etwas über die Welt erfahren, über das Leben, Men­schen, sich selb­st. Um spez­i­fis­ch­er zu wer­den, angesichts dessen, daß die über­wälti­gende Mehrheit von Jaz­z­s­tan­dards (und Pop­songs) um das The­ma Liebe kreist, würde er wahrschein­lich gern etwas über Liebe, Ein­samkeit, Eifer­such, Lust, Ver­lust, Ver­trauen, Ver­söh­nung und so weit­er erfahren.
Anders als im Roman, wo auf hun­derten von Seit­en ein detail­liertes Bild der Umstände, des Charak­ters der Pro­tag­o­nis­ten, der Hand­lung und so weit­er aus­gear­beit­et wird, rufen Song­texte für gewöhn­lich ein typ­is­ches Liebesszenario auf. Man sieht jeman­den zum ersten mal und ist wie elek­trisiert. Man geste­ht seine Liebe. Man find­et her­aus, daß man bet­ro­gen wird, es ist vor­bei. Jed­er ist in allen diesen Sit­u­a­tio­nen schon ein­mal gewe­sen oder hat sie her­beige­sehnt oder gefürchtet, so daß es leicht fällt, sich hineinzu­ver­set­zen und die zitierte Sit­u­a­tion zu eige­nen Erfahrun­gen oder Hoff­nun­gen oder Befürch­tun­gen in Beziehung zu set­zen. Wenn eine Sän­gerin “Mei­n­un­gen über einen Song” hat (S. 10), was die Mei­n­ung impliziert, daß der Song von ihr auf die eine oder auf die andere Weise inter­pretiert wer­den muß, so ver­mute ich dahin­ter die Mei­n­ung, daß dies der richtige Weg ist, ihre Sichtweise der Welt, des Lebens, von Men­schen, sich selb­st und der Liebe auszu­drück­en, gegeben diesen bes­timmten Song.
Ist ein guter Song mehr als ein Vehikel, solche Szenar­ien und deren kom­plexe und doch fokussierte emo­tionale Bew­er­tung in den Köpfen der Sän­gerin und der Hör­er zu erzeu­gen? Ich glaube nicht. Dies ist für Jaz­z­s­tan­dards beson­ders plau­si­bel, da die Prax­is, mehr und mehr Inter­pre­ta­tio­nen des sel­ben Song-Bestandes einen Selek­tion­sprozeß mit sich bringt, der getrieben wird durch die jew­eilige Eig­nung der Songs für inspiri­erte Inter­pre­ta­tio­nen. Das ist der Grund dafür, daß einige Songs mehr als tausend­fach aufgenom­men und mil­lio­nen­fach verkauft wur­den, während andere Songs aus densel­ben Musi­cals oder von densel­ben Song­writern in Vergessen­heit ger­at­en sind.
Inter­pre­ta­tion han­delt nicht von der Per­sona, son­dern von der Welt
Es scheint weniger nahe­liegend, daß der Hör­er nicht an der Sän­gerin oder dem Sänger inter­essiert sein soll, oder vielmehr an der sich in der Inter­pre­ta­tion man­i­festieren­den Per­sona. Natür­lich kann es lohnend sein, Ein­sicht­en zu gewin­nen in die Gedanken und Gefüh­le ein­er charis­ma­tis­chen Per­sön­lichkeit. Aber entspricht wirk­lich das Hören ein­er Song­in­ter­pre­ta­tion dem Ken­nen­ler­nen der Sän­gerin, der Empathie mit ihr oder ihrer Per­sona, so wie es durch das Anse­hen eines Fernse­hin­ter­views mit ihr, die Lek­türe ihrer Biografie oder durch ein Gespräch nach dem Konz­ert an der Bar im Jaz­zclub geschieht? Selb­st wenn eine Sän­gerin oder ein Sänger bewußt eine Büh­nen-Per­sona auf­baut und in ihren­Song­in­ter­pre­ta­tio­nen davon Gebrauch macht, halte ich das eher für ein Mit­tel als für einen Zweck an sich.
Für die Rezep­tion von Musik als solch­er macht es keinen Unter­schied, ob die mitreißende Inter­pre­ta­tion von “My One and Only Love”, die ich ger­ade im Radio gehört habe, nun von ein­er schwarzen, dro­gen­süchti­gen Matrone von der Süd­seite von Chica­go in den frühen sechzigern gesun­gen wurde oder erst jüngst von ein­er nor­wegis­chen Mittzwanzigerin aus gutem Hause mit Aus­bil­dung am Kon­ser­va­to­ri­um in Hil­ver­sum. Ich hat­te beispiel­sweise schon einige Male in den schmerz­er­füll­ten Bal­laden von Lit­tle Jim­my Scott geschwel­gt, bevor ich erfuhr, daß das keine weib­liche Stimme ist, son­dern die eines Mannes, der am Kall­mann-Syn­drom lei­det und deshalb nur 1,50 m groß ist und eine vor­pu­bertäre, hohe Stimme hat. Dieses Wis­sen geht sicher­lich in den Gesamtein­druck sein­er Inter­pre­ta­tion ein; sobald man über die Per­sön­lichkeit der Sän­gerin etwas erfährt, ver­schmilzt dieses Wis­sen mit der Vorstel­lung der Musik. Doch, jeden­fall nach mein­er Erfahrung, bee­in­flußt das nicht sehr stark, was eine bes­timmte Song­in­ter­pre­ta­tion bedeutet. Wie auch immer ist es beim Nach­denken über eine vokale Inter­pre­ta­tion eines Jaz­z­s­tan­dards möglich, zwis­chen dem zu diskri­m­inieren, was durch die Musik ver­mit­telt wird und was unter Bezug auf die Per­sona. Mit Bezug auf die Musik selb­st beschränken die Charak­ter­merk­male, ihre Erschei­n­ung, ihre Stimme und so weit­er lediglich die Band­bre­ite möglich­er Inter­pre­ta­tio­nen. Diese Ein­schränkung ist allerd­ings nicht beson­ders gravierend, wie ich nun zeigen möchte.
Sicher­lich ist eine Per­sona, sei sie bewußt erzeugt oder nicht, ein wichtiges Mit­tel kün­st­lerischen Aus­drucks für eine Jaz­zsän­gerin oder einen Jaz­zsänger, und eben­son eine Dimen­sion der Rezep­tion. Falls, wie ich oben behauptet habe, die Inter­pre­ta­tion von der Welt, dem Leben, Men­schen, der Liebe und so weit­er han­delt, impliziert dies, daß zugle­ich etwas über die Per­sona der Sän­gerin ver­mit­telt wird — aber nur dadurch, daß etwas über die Welt ver­mit­telt wird. Zum einen ist die Per­spek­tive der Sän­gerin auf Liebe, Ein­samkeit, Eifer­sucht et c. ein unablös­lich­er Teil dessen, was die Musik über die Welt ver­mit­telt. Es ist ihre Sicht der Dinge. Deshalb ruft eine gute Inter­pre­ta­tion, das heißt eine emo­tion­al tiefe, ein­sichtsvolle und wahrhaftige Sichtweise eines typ­is­chen Szenar­ios in Liebe­san­gele­gen­heit­en ein Gefühl der Authen­tiz­ität sowohl bei der Sän­gerin als auch beim Hör­er her­vor. Zum anderen ste­ht es dem Inter­pre­ten selb­stver­ständlich frei, seine kontin­gen­ten Befind­lichkeit­en in die Musik ein­fließen zu lassen. Schließlich ist der Inter­pret selb­st auch ein Teil der Welt. Mein­er Auf­fas­sung nach geht dies jedoch in der Regeln zu Las­ten des exem­plar­ischen Charak­ters der Musik, und damit zu Las­ten der ihrer Qual­ität.
Für dieses Bild spricht die Beobach­tung, daß es nicht ger­ade der vielver­sprechend­ste Weg ist, eine gute Sän­gerin zu wer­den, “seine eigene Stimme zu suchen”, Musik und seine Per­sön­lichkeit zur Deck­ung zu brin­gen, nach innen zu blick­en, um sein eigentlich­es Selb­st zu find­en und dann einen Stil und Song­in­ter­pre­ta­tio­nen zu erar­beit­en, die dieses eigentliche Selb­st aus­drück­en. Das ist frus­tri­erend für die Sän­gerin und ermü­dend für das Pub­likum. Ein guter Inter­pret, so scheint es mir, beschäftigt sich mehr damit, ob sein musikalis­ch­er Out­put sein­er Vorstel­lung davon entspricht, “wie es klin­gen soll”. Dieses im engeren Sinne musikalis­che Ide­al, wie ich es beze­ich­nen würde, ist iden­tisch mit dem erfol­gre­ichen Aus­druck der Sichtweise des Inter­pre­ten eines typ­is­chen Szenar­ios in Liebes­din­gen. Die Musik soll genau so klin­gen, wie es sich anfühlt, geliebt zu wer­den oder ver­lassen oder bet­ro­gen. Die Inter­pre­ta­tion ist um so bess­er, je mehr musikalis­ches Kön­nen darin enthal­ten ist, den Aus­druck erfol­gre­ich zu machen, und sie ist um so bess­er, je exem­plar­isch­er die aus­ge­drück­te Sichtweise ist. Genau deshalb ist es keine gravierende Ein­schränkung, ein, sagen wir, dür­rer deutsch­er, weißer Bil­dungs­bürg­er mit­tleren Alters mit einem klaren, leicht met­allis­chen Baßbari­ton zu sein statt eines wilden schwarzen Hip­sters von der bere­its genan­nten Süd­seite von Chica­go mit einem Tim­bre zwis­chen James Brown und Mar­vin Gaye. So etwas schränkt mit Sicher­heit die Per­son­ae ein, die dem Inter­pre­ten zur Ver­fü­gung ste­hen. Aber es ver­hin­dert nicht, eine emo­tion­al tiefe, ein­sichtsvolle und wahrhaftige Sichtweise zu entwick­eln, eine exem­plar­ische Sicht jedes beliebi­gen typ­is­chen Szenar­ios, und es ver­hin­dert nicht, die musikalis­chen Mit­tel zu erwer­ben, die den erfol­gre­ichen Aus­druck so ein­er Sichtweise ermöglichen. Es gibt so viele Wege zur Exzel­lenz.
Anders als etwa der Roman oder die gegen­ständliche Malerei, die sehr explizite Bezüge zu Din­gen in der realen Welt enthal­ten kön­nen, ist Musik sozusagen bauar­tbe­d­ingt abstrak­ter. Was Musik über die Welt ver­mit­telt, ist eher eine all­ge­meine emo­tionale Welt­sicht, eine Stim­mung, in die mich ein tpyis­ches Szenario ver­set­zt. Sie ver­mit­telt eine exem­plar­ische Art und Weise, gefühlsmäßig die Welt, das Leben, Men­schen und mich selb­st zu betra­cht­en. In ein­er Lied­in­ter­pre­ta­tion wird diese all­ge­meine Sicht durch den Lied­text auf ein spez­i­fis­ches Szenario fokussiert. (Der Lied­text fungiert selb­stre­dend sein­er­seits als eine kün­st­lerische Aus­druck­sweise, die mit der Musik unau­flös­lich ver­woben ist).
Bis hier­her habe ich haupt­säch­lich an die Intu­ition appe­liert. Zum Schluß möchte ich nun noch ein regel­recht­es Argu­ment brin­gen für meine Auf­fas­sung, daß die Inter­pre­ta­tion eines Jaz­z­s­tan­dards oder vielmehr Musik generell haupt­säch­lich etwas über die Welt ver­mit­telt und nicht über die Per­sona oder die Kom­po­si­tion. “Intrin­sisch musikalis­ches Denken”, wie Jer­rold Levin­son es an anderem Orte for­muliert hat, bringt nicht notwendig “irgen­deine Andeu­tung wahrnehm­bar­er außer­musikalis­ch­er Hand­lung” mit sich (Musi­cal Think­ing, JMM 1, Fall 2003, 2.11.). Nichts­destotrotz sei “Musik vielmehr unau­flös­lich in unsere Lebens­form einge­bet­tet, eine Lebens­form, die sozusagen essen­tiell lin­guis­tisch [sprach­för­mig, FF] ist” (eben­da, 2.4). Musik ist ein Mit­tel der Kom­mu­nika­tion.
Voraus­ge­set­zt, Musik sei essen­tiell sprach­för­mig: ist es dann wirk­lich die “offen­sichtlich­ste Kon­se­quenz” daß “man nicht umhin kann, beein­druckt zu sein von dem Geist”, der sich in einem bril­lanten Musik­stück “man­i­festiert” (eben­da 2.12)? Die Analo­gie zur ver­balen Kom­mu­nika­tion weist in eine andere Rich­tung. Ver­bale Kom­mu­nika­tion dient an erster Stelle dem Zweck, über die Welt zu kom­mu­nizieren. Die Behaup­tung, jed­er kom­mu­nika­tive Akt ver­mit­tle etwas über den Sprech­er, bedarf min­destens eines zusät­zlichen Argu­mentes. Doch selb­st Vertreter dieser Behaup­tung wür­den kaum der impliziten Man­i­fes­ta­tion des Geistes des Sprech­ers Pri­or­ität über der expliziten Aus­sage über die Welt ver­lei­hen wollen. Intrin­sisch musikalis­ches Denken han­delt expliz­it von der Welt und lediglich impliz­it von der Kom­po­si­tion und der Per­sona des Inter­pre­ten. Intrin­sisch musikalis­ches Denken han­delt von exem­plar­ischen Sichtweisen der Welt, des Lebens, von Men­schen und einem selb­st. Um es mit Levin­sons eige­nen Worten zu sagen, die er über Stan Getz’ berühmtes Solo über The Girl from Ipane­ma schrieb: “Musik, der es in der Spanne von bloß vierzig Tak­ten gelingt, eine ganze Art und Weise des Seins zu sug­gerieren — ich mein­er­seits habe mir oft gewün­scht, einige Zeit so zu leben, wie dieses Solo klingt”
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