Bei der Musik zu NOWHERENOW (Film von Volk­er Schmitt, siehe auch mein vor­ange­gan­ge­nes Post­ing) möchte ich ein­mal das Kon­struk­tion­sprinzip “Leit­mo­tiv” aus­pro­bieren. Die Ver­wen­dung von Leit­mo­tiv­en oder “musikalis­chen Bedeu­tungsträgern”, die nach Carl Maria von Weber, Beethoven, Berlioz und anderen vor allem Richard Wag­n­er und Richard Strauss zur Meis­ter­schaft gebracht haben, läßt sich beson­ders klar in Sergej Prokofiews bril­lantem Peter und der Wolf nachvol­lziehen. In der Film­musik find­et Leit­mo­tivik eben­falls bre­ite Ver­wen­dung; zu den am meis­ten zitierten Beispie­len zählt John WilliamsImpe­r­i­al March aus Star Wars, der mit der Fig­ur Darth Vad­er assozi­iert ist. Aber auch in der so stark auf die Lied­form aus­gerichteten Pop­musik kann man Leit­mo­tive hören, etwa auf Konzept-Alben wie Gen­e­sis’ Dop­pel-LP The Lamb Lies Down on Broad­way.

Leit­mo­tive bieteten sich für NOWHERENOW an, da die Musik voraus­sichtlich über die gesamte Dauer des Films (eine knappe Vier­tel­stunde) ohne Unter­brechung durch­laufen wird, so daß jew­eils zur Szene passende “Songs” auss­chei­den. Lukas, der zynis­che, hippe Jour­nal­ist, bekommt als Leit­mo­tiv einen Beat­box-Rhyth­mus, der an die Ibiza-taugliche Lounge-Musik erin­nern mag, die er wahrschein­lich bevorzugt. Dem durchgek­nall­ten Pro­fes­sor lasse ich ein an die Stre­ichquar­tette Hin­demiths, Bartóks und ander­er Kom­pon­is­ten des 20. Jahrhun­derts gemah­nen­des kom­plex­es Stre­icherge­flecht angedei­hen, das seine kom­plizierten Berech­nun­gen und seine Vin­tage-Meßgeräte wieder­spiegelt.

Anders als in Peter und der Wolf und den meis­ten anderen musikalis­chen Beispie­len sollen in der NOWHERENOW-Musik nicht nur die Fig­uren mit Leit­mo­tiv­en aus­ges­tat­tet wer­den (zumal es nur zwei davon gibt…), son­dern auch einzelne Aspek­te ihrer Per­sön­lichkeit­en bzw. einzelne Gefühlsre­gun­gen. Ich denke etwa daran, ein Motiv für den enthu­si­astis­chen Glauben an das Unmögliche (daß gle­ich ein Raum­schiff mit Wasser­antrieb starten wird) zu prä­gen, das immer dann erklingt, wenn der Pro­fes­sor sich für seine Vision begeis­tert — und dann zum Ende des Films auch Lukas ergreift, als er im Sand sitzt und die den geglück­ten Start bejubel­nde Stimme des Pro­fes­sors aus dem Dosen­tele­fon hört.

Mit Leit­mo­tiv­en kann nicht nur ein “Psy­chogramm” der Pro­tag­o­nis­ten aus­gear­beit­et wer­den — Igor Straw­in­sky verspot­tete in Anlehnung an den Wag­n­er-Kri­tik­er Eduard Hanslick Leit­mo­tive als “Garder­oben­num­mer” der Fig­uren, die dieses starr iden­ti­fizieren. An ihnen kann auch auch die Entwick­lung der Charak­tere nachvol­l­zo­gen wer­den, und erst recht bieten Leit­mo­tive, die nicht ger­adewegs für Fig­uren ste­hen, vielfältige Möglichkeit­en. Sie ver­leit­en jedoch dazu, eine Film­musik sehr dicht an der Szene zu schreiben, eine illus­tra­tive Musik, die nicht schon per Kon­struk­tion eine “eigene” Botschaft im Kon­trast zum Gese­henen for­muliert. Aber so viel Hol­ly­wood darf es dies­mal schon sein…

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